Wo sich Start-ups die Klinke in die Hand geben

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Christoph Scholze machte sich einen Namen bei Siemens Energy. Jetzt startet er neu. Sein Ziel: Ein Kaufhaus der Innovationen in Görlitz. Der Auftakt könnte bei der ITB in Berlin sein.

Von Sebastian Beutler 

Der Briefkasten hängt bereits seit einigen Wochen und hat seinen ersten Filmdreh auch schon überstanden. Grantiro steht da drauf, und aufmerksame Passanten entdeckten ihn im kleinen Eingang zum großen Kaufhaus auf der Steinstraße. Einst wurde hier mit Mode und Geräten gehandelt, künftig soll es ein Kaufhaus der Innovationen werden: das Görlitzer Ka-De-In.

Christoph Scholze hängte den Briefkasten auf, um ein Zeichen für den Start seines Projektes zu setzen. Der 41-jährige Innovationsmanager des Siemens-Campus beschäftigte sich in den vergangenen Jahren viel mit Strukturwandel, Prozessen und Innovationen. Das klingt zunächst sehr abstrakt, für manche auch abschreckend. Aber es entstand nicht nur der Innovationscampus bei Siemens daraus, der sich mit Hilfe der Fraunhofer-Gesellschaft sowie dem Zweigcampus der TU Dresden um neue Antriebsformen wie Wasserstoff und leichte Fahrzeuge kümmern wird. Auch wenn die Produktion von Elektrolysatoren Siemens nicht nach Görlitz, sondern nach Berlin vergeben hat.

Der Briefkasten der Grantiro Initiative GmbH auf der Steinstraße in Görlitz.
Der Briefkasten der Grantiro Initiative GmbH auf der Steinstraße in Görlitz. © Martin Schneider

Mit Hilfe von Grantiro die hellsten Köpfe der Lausitz finden

Zugleich ist Scholze dabei aber auch auf eine Idee aus Österreich gestoßen. Grantiro heißt sie und wartet nicht auf die großen Impulse von außerhalb, auf die 1.000-Mitarbeiter-Investition wie von Tesla in Grünheide bei Berlin. Wie selten ein solcher Glücksfall ist, zeigten auch die Bemühungen um die chinesische Großinvestition am Flugplatz in Rothenburg. Jetzt ist er der Leiter der ersten deutschen Niederlassung der österreichischen Initiative.

Grantiros Ansatz ist ein anderer und deckt sich auch mit der Überzeugung von Christoph Scholze, sich unabhängiger von den wenigen großen Betrieben in der Region zu machen. Die Überlegung dahinter lautet: In jeder Region leben Menschen, in jedem Unternehmen arbeiten Beschäftigte, die besonders kreativ sind und ein hohes Innovationstalent besitzen. Nur wissen sie selbst meist darum nicht. Deswegen hat die Grantiro-Initiative Fragebögen entwickelt, mit denen diese Menschen gefunden werden, um anschließend mit ihnen, Ideen für neue Unternehmungen zu entwickeln. Diese Menschen sollen jetzt auch im Kreis Görlitz gesucht werden. Damit startet Grantiro noch dieses Jahr, kündigt Scholze an.

Andernorts hat Grantiro bereits unter Beweis gestellt, dass das Modell funktionieren kann. So begleiteten die Innovationsmanager und Unternehmensberater von Grantiro den Wiederanfang von Tetenat, einer Firma, die fotochemische Produkte herstellte und nach 171 Jahren ihres Bestehens vor dem Aus stand. Grantiro – der Begriff kommt aus dem Spanischen und heißt so viel wie „Großer Wurf“ – hat dafür ausgewiesene Fachleute bei der Hand, die helfen, das Risiko des Neubeginns zu minimieren, und vor allem, die die Mitarbeiter selbst aktivieren, die Firma zu retten.

Christoph Scholze verlässt Siemens Energy

Der studierte Maschinenbauer Christoph Scholze hat für seinen Neuanfang auch eigene Sicherheiten und Gewohnheiten aufgegeben. Er löst sich gerade von der Siemens Energy, auch wenn es ihm deutlich schwerer gemacht wird, als er dachte. Und startet nun als Teil des neuen Eno-Teams für den Strukturwandel und bei Grantiro. Im besten Falle kommt beides zusammen, beispielsweise beim geplanten Rechenzentrum in Krauschwitz, das über Kohleausstiegsgelder finanziert werden soll, oder auch bei den Bemühungen von Reichenbach, zusammen mit Forschungspartnern Lösungen für eine Landwirtschaft der Zukunft zu entwickeln. „Traditionsbewusst, aber offen für Neues zu sein“, das ist für Scholze die Richtschnur der kommenden Jahre.

Was er darunter versteht, erklärt Scholze zusammen mit der Chefin des Co-Working-Bereiches bei Siemens Energy in Görlitz, Karolin Gröschl, regelmäßig in einem Podcast. „Bomforzionös“ heißt er und ist auf der gängigen Plattform Spotify zu finden. Im Sommer besuchte er den Bevollmächtigten des Freistaates Sachsen in Berlin, Conrad Clemens. Der sächsische „Botschafter“ beim Bund ermunterte Scholze und die Oberlausitz, auf dem Weg weiterzumachen, selbst Unternehmen zu entwickeln, coole Ideen von jungen und alten Leuten vor Ort zu fördern, Starthilfe zu geben und so neue Firmen zu gründen.

Israelische Start-ups für Görlitz interessieren

Bei der Gelegenheit traf Scholze auch noch mit Carsten Ovens zusammen, Geschäftsführer von Elnet (European Leadership Network). Der organisiert vor allem den Austausch zwischen der israelischen Wirtschaft und Deutschland. Im Sommer weilte Ovens schon einmal in Görlitz, traf auf Einladung des CDU-Spitzenkandidaten Florian Oest mit Unternehmern und Bürgermeistern in der Landskron Brauerei zusammen. Israel ist mittlerweile eines der Zentren für junge, kreative Unternehmen. Und viele von ihnen haben sich in den letzten Jahren auch in Berlin angesiedelt.

Ovens und Clemens unterbreiteten nun den Vorschlag für eine Oberlausitz-Messe in Berlin: Akteure aus der Oberlausitz stellen einflussreichen Vertretern aus Wirtschaft und Politik in Berlin ihre Projektideen vor, um daraus dann umsetzbare Vorhaben zu kreieren. Dazu sollen Start-ups aus Israel kommen, die entweder schon in Berlin sind oder direkt aus dem nahöstlichen Land eingeladen werden, und denen wiederum die Chancen aufgezeigt werden, die eine Investition oder Ansiedlung in Görlitz bedeutet. Ziel so Ovens: Eine Etage voller israelischer Start-ups in der Görlitzer Innenstadt.

Dafür wiederum würde sich das Ka-De-In am besten eignen. Scholze ist daher optimistisch, dass im altehrwürdigen Totschek-Kaufhaus, in dem noch immer an den Schriften seine große Zeit ablesbar ist, nun doch eine neue Zeit beginnen kann. Schon vor einigen Jahren gab es Pläne für „Görli.Works“, ein Gründer- und Co-Working-Center. Ursprünglich war die Eröffnung Ende 2019 geplant. Doch schließlich zerschlugen sich alle Pläne, auch anfangs zugesagte Fördergelder aus dem Sofortprogramm für den Strukturwandel wurden schließlich nicht ausgereicht. Nun könnte sich wieder etwas bewegen. Deutlicher wollen es die Beteiligten in diesen Tagen nicht sagen, auch eine Lehre aus der Vergangenheit.

Die Oberlausitz an den größten Börsen der Welt vorstellen

Für Christoph Scholze, der ursprünglich aus Berthelsdorf im Süden des Kreises stammt, nach einer Kfz-Ausbildung zu Siemens stieß, beim Kampf um die Rettung des Turbinenwerks in Görlitz eine führende Rolle spielte und sowohl bekennender Oberlausitzer als auch CDU-Mitglied mit Sitz im Kreisvorstand ist – für ihn soll das Totschek als Ka-De-In der Anlaufpunkt für alle werden, die etwas vorhaben, die eine Idee haben, aber nicht wissen, wie sie eine Firma gründen können, die ihre Geschäftsmodelle zusammen mit den Grantiro-Experten verfeinern wollen. „Ein Anlaufpunkt für Kreativität“ – das ist es, was Christoph Scholze vorschwebt.

Das geht nicht auf einmal. Wie auch seine Idee nicht von heute auf morgen umzusetzen ist, die Oberlausitz an den großen Börsenplätzen der Welt wie Shanghai, London oder New York vorzustellen, dort wo das Geld ist und die Investoren auf vielversprechende Initiativen in der Oberlausitz hinzuweisen. Doch Scholze ist entschlossen, es „einfach mal zu machen“. Wie die Oberlausitz-Messe. Das könnte ein Anfang sein. Womöglich schon zur Internationalen Tourismus-Börse im kommenden Jahr in Berlin. Dann ist Sachsen Partnerland – und da würde ein Schaufenster für die Oberlausitz bestens passen.

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