Kreative Köpfe gesucht

Christoph Scholze und Johannes Sauerwein vor dem GRANTIRO Büro in Görlitz

Kann man einen ganzen Landkreis wie ein Unternehmen denken? Lässt sich die Innovationskraft der Menschen vor Ort nutzen? Diese Fragen standen am Anfang eines Prozesses, der gerade Fahrt aufnimmt.

LANDKREIS. Der Strukturwandel stellt unsere Region vor große Herausforderungen. Es soll viel Geld investiert werden, um den Wegfall des Braunkohleabbaus zu kompensieren. Dabei hat sich ein unübersichtliches Gerangel gebildet, weil jeder für sich ein möglichst großes Stück vom Kuchen haben will und die Meinungen darüber, wo am besten investiert werden sollte, auseinandergehen. Mit einem neuen Projekt will die Entwicklungsgesellschaft Niederschlesische Oberlausitz (ENO) einen neuen Ansatz ausprobieren. Kurz gesagt geht es darum, einen Transformationsprozess, wie er in Firmen angewandt werden muss, wenn das Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert, auf eine ganze Region zu denken. In konkreten Fall ist diese Region der Landkreis Görlitz, das Geschäftsmodell der Braunkohleabbau.

Auf die Ausschreibung im Frühjahr bekam Grantiro den Zuschlag. Dabei handelt es sich um ein Bündnis aus Wissenschaftlern, Innovationsmanagern und Sanierern, »think & do tank« nennt man das heute. Es folgte die Einrichtung einer Niederlassung in Görlitz. »Wir wollten das bewusst nicht selbst machen, sondern den Blick von außen«, sagt ENO-Geschäftsführer Sven Mimus. Aber die Macher sollten in Görlitz sitzen, die Region kennen- lernen, nicht nur aus der Ferne draufschauen.

Die Fäden in der Hand halten Dr. Johannes Sauerwein und Christoph Scholze. Sauerwein hat sich in seiner jüngeren Vergangenheit am IfUS-Institut in Heidelberg mit Restrukturierung und Unternehmenstransformation beschäftigt, engagiert sich außerdem ehrenamtlich im sozialen und politischen Bereich. Scholze war bei Siemens Energy für die Entwicklung des Innovationscampus verantwortlich und hatte als stellvertretender Betriebsratsvorsitzender großen Anteil an der Rettung des Werkes in den Jahren 2017/18. Der Strukturwandelexperte ist politisch und wirtschaftlich exzellent vernetzt.

Beide glauben an den Prozess, denn sie aktuell starten. Seit Mai arbeitet die neue Niederlassung, zunächst untergebracht bei der ENO. Ende November wurde das eigene Büro auf der Steinstraße direkt neben dem ehemaligen Kaufhaus Totschek eingerichtet. Sobald es Corona wieder zulässt, soll es Anlaufpunkt für alle Bürger werden.

Innovative Menschen und Ideen finden

Beim Grantiro-Prozess geht es darum, die Innovationskraft in der Bevölkerung anzuzapfen. »Wir haben mit Kreativinterviews angefangen«, erklärt Johannes L. Sauerwein. Knapp einhundert wurden bisher ge- führt. Eigentlich sollten es schon mehr sein, aber der Prozess ist erklärungsintensiv und Corona hat zusätzlich gebremst. Die Interviews richten sich an alle Menschen, egal ob angestellt, selbstständig oder arbeitssuchend, Verkäuferin, Beamter, Hochschulprofessorin oder Theologe, jeder konnte und kann noch mitmachen.

Das Projekt ist als Bottom- Up-Prozess angelegt. Auf ein Unternehmen bezogen versucht man dabei, die Fähigkeiten und Ideen der Mitarbeiter zu aktivieren, statt aus der Chefetage vorzugeben, was zu tun ist. Auf den Landkreis bezogen bedeutet es, die Fähigkeiten und Ideen der Menschen, die hier leben, zu aktivieren.

Mit den Interviews werden Teilnehmer für Workshops ermittelt. Eigentlich waren die ersten davon mit rund 40 Teilnehmern im November geplant. Auch hier spielte Corona nicht mit. Also sattelte man auf Online-Veranstaltungen um, die gestreamt werden. Die erste mit 15 Teilnehmern findet am 13. und 14. Dezember statt. Im Januar folgt der zweite Workshop im gleichen Format.

Der ganze Prozess wird wissenschaftlich begleitet. »In der Form wurde das noch nie gemacht«, sagt Johannes L. Sauerwein. Deswegen sei offen, wohin genau die Reise geht, das Interesse aus der Wirtschaft aber groß. »Einen Landkreis wie ein Unternehmen zu denken ist ein völlig neues Konzept, deswegen danke an den Landkreis Görlitz, dass wir das hier probieren dürfen«, so Sven Mimus. Gefördert wird das Projekt aus Mitteln der Förderrichtlinie »Stark« des Bundeswirtschafts- ministeriums.